IC Baia Mare, Montag 6.08.2012

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Die Stimme eines Rufenden in der Wüste

Der Titel unserer heutigen Betrachtung stammt aus der Prophezeiung Jesajas (Jes. 40:3), wurde aber hauptsächlich durch das Wirken Johannes des Täufers berühmt. Er war es, der auf die Frage, wer er sei, antwortete: "Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste” – Joh. 1:23.

In den mir bekannten europäischen Sprachen hat sich dieser Ausdruck als sprichwörtliche Umschreibung einer unbeliebten Botschaft oder eines erfolglosen Aufrufs etabliert. Als solche wurde nämlich die Mission Johannes des Täufers wahrgenommen. Viele meinen, dass sein Aufruf zur Buße und das Aufmerksammachen der Israeliten auf den Messias nicht das erwünschte Ergebnis gebracht hatten.

Der Gegenstand unserer Betrachtung wird aber weder das vierzigste Kapitel des Buchs Jesaja noch die Mission Johannes des Täufers sein, sonder die Prophezeiung Joels. Wie der Leitvers mit unserem Thema zusammenhängt, werden wir später zeigen.

Über die Person des Propheten Joel wissen wir nur so viel, wie er uns selbst mitgeteilt hat. Das heißt: er war ein Sohn des Petuel (Joel 1:1) und könnte dem Stamm Levi angehört haben, denn er rief die Priester zur Buße auf. (Joel 1:13, 2:17). Der Name Joel [Strong 3100] bedeutet "JW ist Gott”. Die Bibel berichtet über mehr als zehn Personen, die diesen Namen tragen. Höchstwahrscheinlich stimmt keine dieser Identitäten mit dem Autor des zweiten Buches der gesammelten Texte von zwölf späteren Propheten, die manchmal als geringer eingestuft werden. Der Name seines Vaters, Petuel, tritt nirgends sonst in der Bibel auf.

Über die Zeit, in der der Prophet wirkte, und über die Entstehung seines Buchs wissen wir genauso wenig. Im Allgemeinen haben sich unter den Bibelexperten drei oder vier Theorien darüber durchgesetzt. Die Analyse dieser Theorien wollen wir den Interessierten überlassen. Wir konzentrieren uns hier auf eine einzige, nämlich die, die den Autor dieser Betrachtung überzeugt.

Erstens: Aus den Aussagen des Buchs Joel folgt, dass der Tempel zu seinen Lebzeiten genutzt wurde (Joel 1:9): "Speisopfer und Trankopfer sind weggenommen vom Haus des HERRN; es trauern die Priester, die Diener des HERRN.” Wegen der herrschenden Not fehlt es im Tempel an Speis- und Trankopfern, aber es werden offensichtlich andere Opfer gebracht.

Zweitens: Der Hinweis darauf, dass die Phönizier judäische Sklaven an die Griechen verkauften (Joel 4:6), deutet darauf hin, dass das Buch in einer Zeit verfasst wurde, in der die griechische Kultur schon so weit entwickelt war, dass die Griechen sich am internationalen Handel beteiligen konnten. Das kann nicht vor dem VII. Jahrhundert vor unserer Zeit der Fall gewesen sein.

Drittens: Unser Glaubensgut beinhaltet die Annahme, dass die inspirierten Schriften des Alten Testaments nicht später als zur Zeit Esras entstanden sind. Er hat nämlich mehrere Jahrzehnte nach der babylonischen Gefangenschaft den Kanon hebräischer Schriften vervollständigt (Neh. 8:3,18).

Viertens: Aus den Aussagen Joels folgt, dass zu der Zeit, als er das Buch verfasste, in Judäa, besonders in Jerusalem, ein Notzustand herrschte, der durch den Einfall einer gewaltigen Armee verursacht worden war (Joel 1:6): "Denn eine Nation ist über mein Land heraufgezogen, mächtig und ohne Zahl”. Der Prophet sagt aber eine noch schrecklichere Notzeit für die nahe Zukunft voraus (Joel 2:11): "Und der HERR läßt vor seiner Heeresmacht her seine Stimme erschallen, denn sein Heerlager ist sehr groß.”

Der Zeitabschnitt, der die genannten vier Bedingungen am besten erfüllt, ist die Phase kurz vor der babylonischen Gefangenschaft. (1) Damals stand noch der Tempel, (2) die hellenistische Kultur hatte schon die Blütezeit des klassischen Zeitalters erreicht, und (3) Judäa war mehrfach, erst durch die Assyrer und dann durch die Babylonier überfallen worden, um schließlich endgültig gegen Nebukadnezar zu verlieren. Höchstwahrscheinlich hatte also der Prophet Joel seine Botschaft in der Zeit verkündet, die der siebzigjährigen babylonischen Gefangenschaft unmittelbar vorausging.

In dieser Zeit wirkte auch der Prophet Jeremia, der in einem ähnlichen Sinne eine furchtbare Niederlage des alten Israels verkündete. Über die ihr vorausgehende Zeit schrieb er (Jer. 14:6): "Und die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen, schnappen nach Luft wie die Schakale; ihre Augen erlöschen, denn kein Kraut ist da.” Ähneln diese Worte denn nicht der Aussage Joels (Joel 1:18): "Wie stöhnt das Vieh! Die Rinderherden sind bestürzt, weil sie keine Weide haben; auch die Schafherden büßen.”

Während der Prophet Jeremia die Judäer zur Buße aufruft, führt er ihnen das Beispiel des nördlichen Israels vor Augen (Jer. 3:7-8): "Und ihre treulose Schwester Juda sah es. Und sie sah [auch], daß ich Israel, die Abtrünnige, eben deshalb, weil sie die Ehe gebrochen, entließ und ihr den Scheidebrief gab. Doch ihre Schwester Juda, die Treulose, fürchtete sich nicht, sondern ging hin und trieb selbst auch Hurerei.”

Joel ruft in einem ähnlichen Geiste sein Volk zur Buße auf, indem er sich auf vier vorher eingetretene Notstände bezieht (Joel 1:4-5): "Was der Nager übriggelassen hatte, fraß die Heuschrecke; und was die Heuschrecke übriggelassen, fraß der Abfresser; und was der Abfresser übriggelassen, fraß der Vertilger. Wacht auf, ihr Betrunkenen, und weint!”

Der Aufruf zur Buße, d.h. zum Zeigen der Reue und der Trauer wegen der Sünden, die Gottes Groll gegen Israel ausgelöst haben, ist der zentrale Gegenstand des Buchs Joel (Joel 1:13-14). Der Prophet ruft auf: "Umgürtet euch und klagt, ihr Priester! (...) Heiligt ein Fasten, ruft einen Feiertag aus! (...) und schreit zum HERRN”. Besonders dramatisch klingen seine Worte in Joel 2:13: "Und zerreißt euer Herz und nicht eure Kleider und kehrt um zum HERRN, eurem Gott!” Hier fordert er die Zuhörer auf, sich ehrlich und zutiefst, und nicht förmlich und oberflächlich, zu bekehren, so dass ihre Bekehrung sich nicht auf den äußeren Ausdruck konzentriert, sondern das Herz und das Verhalten beeinflusst.

Ein zweites wichtiges Motiv der Prophezeiung von Joel ist die Ankündigung des "Tags des Herrn [JHWH]”. Diese Bezeichnung tritt fünf mal in seinem Buch auf, häufiger als in anderen Prophezeiungen. Der Begriff des "Tags des Herrn” als des Tags des Zorns oder des Tags des göttlichen Gerichts, wurde sicherlich durch den Propheten Jesaja geprägt (Jes. 2:12, 13:6-9). Er war auch anderen Propheten bekannt. Besonders berühmt sind die Worte Zephanjas, der ebenfalls vor der babylonischen Gefangenschaft, vermutlich also zeitgleich mit Joel und Jeremia wirkte (Zeph. 1:14-15): "Nahe ist der große Tag des HERRN;(...) Ein Tag des Grimms ist dieser Tag, ein Tag der Not und der Bedrängnis, ein Tag des Verwüstens und der Verwüstung, ein Tag der Finsternis und der Dunkelheit, ein Tag des Gewölks und des Wolkendunkels”.

Da wir jetzt die historischen Hintergründe der Entstehung des zu betrachtenden Textes und seine Hauptaussagen kennen, wollen wir den Inhalt des gesamten Buchs genauer betrachten. Ganz grob kann man es in zwei Teile gliedern.

Teil 1 endet in Vers 2:17 und umfasst (1) die Beschreibung der moralischen und materiellen Verwüstung Judäas (1:2-12); (2) die ersten an die Priester gerichteten Aufforderungen zum Ausruf der nationalen Buße (1:13-20); (3) die Verkündung der nahenden schrecklichen Not des Tags des Herrn (2:1-11); (4) den zweiten Aufruf der Priester zum Einleiten der Buße (2:12-17).

Im zweiten Teil lesen wir zunächst über (5) die Bekehrung der Judäer und das Abwenden des göttlichen Zorns (2:18-27), und dann über (6) das Ausgießen des Geistes über "alles Fleisch” (2:28-31 oder 3:1-5), (7) die Bestrafung der Nationen im Tal Joschafat (3:1-16 oder 4:1-16) und (8) den Triumph des göttlichen Königreichs über die ganze Erde (3:17-21 oder 4:17-21).

Es ist augenfällig, dass die negativen Höhepunkte beider Teile in den Beschreibungen des Tags des Herrn bestehen. Dies war nämlich die Bezeichnung für den Notzustand, der am Anfang des zweiten Kapitels des Buchs beschrieben wird (Joel 2:1), und für den Kampf der Nationen im Tal Joschafat (Joel 3:14): "Scharen [über] Scharen im Tal der Entscheidung; denn nahe ist der Tag des HERRN im Tal der Entscheidung.”

Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Beschreibung des Einfalls der Armee des Herrn, die im zweiten Kapitel zu finden ist, und die Beschreibung des Kampfs der Nationen im Tal Joschafat die selbe Zeitspanne betreffen. Das Heer, das Judäa bedroht, stellt gleichzeitig eine Bedrohung für die ganze Erde dar (Joel 2:6). Zunächst wird es gegen Jerusalem aufgestellt, aber die Bekehrung Judäas ändert radikal die Situation. Der Herr, der die Heerscharen zum Schrecken seines Volkes angeführt hat, wird nach der Bekehrung Judäas zu seinem Verteidiger und richtet nun seinen Zorn gegen die zum Kampf versammelten Nationen.

Diese Konstellation der Ereignisse ist uns auch aus anderen Prophezeiungen bekannt. Der Prophet Hesekiel schrieb die berühmte Prophezeiung über Gog auf. Gott, der Gog in die israelischen Berge hinausführt, sorgt auch für seine Vernichtung (Hes. 38:4,39:2-3). Sacharja beschreibt wiederum eine Situation, in der Gott zuerst die Nationen gegen Jerusalem aufstellt und sogar zulässt, dass sie Teile der Stadt verwüsten (Sach. 14:2) und anschließend gegen die selben Nationen kämpft (Sach. 14:3).

Einen Höhepunkt der Prophezeiung von Joel bildet natürlich die Beschreibung der Bekehrung der Judäer und Jerusalems und des damit verbundenen Ausgießen des Geistes. Christliche Leser des Buchs Joel meinen im Allgemeinen, dass das Ausgießen des Geistes über "alles Fleisch” für die geistige Belebung der Menschen aus allen Nationen steht. Dieser Eindruck entsteht vermutlich dadurch, dass die Prophezeiung über das Ausgießen des Geistes von Petrus mit der Eröffnung der Kirche in Verbindung gebracht wird (Apg. 2:16).

Man sollte aber daran denken, dass am Pfingsttag nach dem Tode Jesus der Heilige Geist nur über den jüdischen Teil der Kirche ausgegossen wurde. Die ersten Heiden sind erst später unter diese Salbung gekommen. Auch der Kontext der Prophezeiung von Joel zeigt deutlich, dass das Ausgießen des Geistes nur jene betreffen wird, die sich vorher bekehrt haben, d.h. Jerusalem und das es umgebende Judäa.

Bei diesen beiden "Ausgießungen” verhält es sich so, dass nach und nach immer mehr Personen zu der Anfangsgruppe hinzukommen. So war es im Falle der Salbung der Kirche, in welchem zu der ursprünglichen Gruppe, die sich ausschließlich aus Juden zusammensetzte, nach und nach Vertreter anderer Nationen hinzukamen. Wir erwarten, dass es sich in der ersten Phase der irdischen Phase der Herrschaft von Christus, ähnlich zutragen wird.

Die ursprüngliche Gruppe wird um Vertreter aller Nationen erweitert werden. Dies wird in vielen Prophezeiungen beschrieben, wie beispielsweise in Jer. 3:17: "In jener Zeit wird man Jerusalem den Thron des HERRN nennen, und alle Nationen werden sich zu ihr versammeln wegen des Namens des HERRN”. Der Anfang wird jedoch den bekehrten und gläubigen Judäern und den Einwohnern von Jerusalem zustehen. Auf sie, d.h. auf das aus ihnen bestehende "alles Fleisch”, wird der Geist ausgegossen, so wie der Prophet Joel es beschreibt.

Die positiven, erfreulichen Ereignisse, die vom Propheten Joel im zweiten Teil seines Buchs, beginnend in Vers 2:18, beschrieben werden, beziehen sich für ihn natürlich auf die Zukunft. Es ist sein Traum, dass die Priester eine Versammlung zur Buße einberufen, dass sie dort nicht nur Kleider, sondern auch Herzen zerreißen, damit die im Tempel betenden sowie ihre geistlichen Anführer, nicht nur ihre Sünden bereuen, sondern auch aktiv ihr Verhalten ändern.

Auch die dramatischen Ereignisse des "Tags des Herrn” ordnet der Prophet der Zukunft zu. Sie stellen eine schreckliche Bedrohung dar, die zur Buße motivieren soll.

In seiner Gegenwart und traurigen Realität stößt er dagegen auf ein durch militärische Angriffe verwüstetes Judäa mit seinen bösen und sittenlosen Einwohnern, die ihren Zorn überhaupt nicht bereuen. Offensichtlich fügen sich auch die Priester und andere geistliche Führer in dieses düstere, pessimistische Bild ein. Den einzigen Lichtblick bildet die Haltung des Propheten selbst, der nur in einem Vers auf sich selbst eingeht (Joel 1:19 Luth.): "HERR, dich rufe ich an; denn das Feuer hat die Auen in der Wüste verbrannt”. In der Wüste!

Und genau an dieser Stelle unserer Betrachtung möchte ich an ihren Titel erinnern: "Die Stimme eines Rufenden in der Wüste”. Exakt so und unter exakt solchen Umständen erklang die Stimme des Propheten Joel. Sie erweiterte die Reihe anderer einsamen Stimmen großer Prediger, wie die bereits erwähnten Jeremia und Zephanja. Diese Männer Gottes blickten auf ein verwüstetes Land zurück, sahen eine unabwendbare Katastrophe vor sich und waren von bösen reuelosen Menschen umgeben. Mit ihren flammenden Predigten versuchten sie, Gewissen zu wecken. Konnten Sie irgendwelche Erfolge vorweisen?

Die Beantwortung dieser Frage ist weder einfach noch offensichtlich. Wurde die Mission Johannes des Täufers von Erfolg gekrönt? Hatte Jesus Erfolg? Maleachi prophezeite, dass die Botschaft Elias dazu bestimmt war, die Erde vor dem Bann Gottes zu bewahren (Mal. 4:6). War der historische Elias erfolgreich bei seiner Mission? Wird es der symbolische Elias sein?

Wir wollen einen kurzen Blick auf die Prophezeiung Jesajas werfen, aus der unser Leitvers stammt (Jes. 40:3): "Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg des HERRN! Ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!” Wenn wir verschiedene Bibelübersetzungen in die Hand nehmen, werden wir uns überzeugen, dass je nach dem, wo der Übersetzer das Komma setzt, der Sinn dieser Aussage variiert. Die meisten modernen Übersetzungen, allen voraus die jüdischen, verorten nicht den Rufenden in der Wüste, sondern vielmehr den Anfang des Wegs, der für den Herrn gebahnt werden soll: "Eine Stimme ruft:[Doppelpunkt] In der Wüste bahnt den Weg des HERRN!”

Die Situation, in der Joel seine Prophezeiung verkündete, könnte man als "nationale Wüste” bezeichnen. Erstens war die Erde im buchstäblichen Sinne, durch Angriffe, Naturkatastrophen, Brände, verwüstet. Der Verwüstung waren aber auch das theologische und ethische Niveau der Menschen zum Opfer gefallen. Selbst wenn sie sich praktizierenden Israeliten nannten, da sie ja zu den Feiertagen nach Jerusalem gingen und Opfer im Tempel darbrachten, spiegelte sich ihre religiöse Zugehörigkeit in ihrem sonstigen Verhalten in keiner Weise wider. Viel schlimmer noch war die Tatsache, dass die Anführer wohlhabender Familien und die im Tempel dienenden Priester dabei an der Spitze standen.

Deshalb klingen die Worte des Propheten so dramatisch: "Zu dir, HERR, rufe ich; denn ein Feuer hat die Weideplätze der Steppe verzehrt.” Doch seine Stimme bleibt einsam. Vielleicht wird sie noch von den tragischen Liedern Jeremias, Zephanjas und vereinzelter Gläubigen begleitet, die inspirierte Worte niederschreiben, sie in dankbarer Erinnerung behalten und zusammen mit den Propheten den bedauernswerten "verwüsteten” Zustand des Volkes beklagen.

Aber manchmal bietet das, was für den Menschen eine Extremsituation darstellt, Gott eine günstige Gelegenheit. Ein solcher "verwüsteter” Zustand eines einzelnen Menschen oder auch größerer menschlicher Gemeinschaften, bildet manchmal einen guten Ausgangspunkt für den Prozess der Besserung.

Ich kenne Eltern, die im Zuge der Erziehung die Methode schriftlicher Verpflichtungen der Kinder anwenden. Das Kind muss beispielsweise folgende Verpflichtung unterschreiben: "Trotz zahlreicher Aufforderungen der Eltern habe ich mich geweigert, Englisch zu lernen. Wenn ich erwachsen bin und ins Ausland fahre, z.B. zur internationalen Versammlung, werde ich nicht in der Lage sein, Kontakt mit anderen Jugendlichen in meinem Alter aufzunehmen. Ich werde meinen Eltern dann keine Vorwürfe machen, dass sie mich nicht zum Lernen angehalten haben.”

Häufig haben allein der Vorschlag, das Kind eine solche Verpflichtung unterschreiben zu lassen und die Belehrung über mögliche negative Folgen des falschen Verhaltens, bereits einen positiven pädagogischen Effekt; aber die Wirkung einer solchen Bewusstmachung der Konsequenzen falschen Verhaltens ist um einiges stärker, wenn die zu erziehende Person bereits die ersten Folgen ihres falschen Verhaltens zu spüren bekommt. Ein Mensch, der mit den ersten Symptomen einer Krankheit und den mit ihnen verbundenen Unannehmlichkeiten zum Arzt kommt, hat ein bei weitem "offeneres Ohr” für die Ratschläge und ihre Umsetzung als ein völlig gesunder Mensch.

Einige von den hier im Saal anwesenden mussten bestimmt vor irgendeinem, selbst kleinen Eingriff eine Erklärung unterschreiben, in der sie bestätigten, dass sie über die möglichen Nebenwirkungen dieses Eingriffs informiert worden sind. Natürlich schreckt uns in solchen Situationen die lange Liste der Komplikationen, die uns wegen eines unglücklichen Zufalls widerfahren könnten, aber im Inneren halten wir es für sehr unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet uns treffen wird.

Die Situation wäre aber anders, wenn der Arzt uns bei der Entlassung aus dem Krankenhaus nach dem Einsatz eines Bypasses über die Notwendigkeit gewisser bedeutender Änderungen unseres Lebensstils und unserer Ernährungsgewohnheiten informieren würde. Dann würden wir ganz anders zuhören, oder?

Unter solchen Umständen wirkte der Prophet Joel. Die Judäer hatten die ersten ernstzunehmenden Anzeichen einer tödlichen Krankheit zu spüren bekommen. Und nun drohte ihnen noch die Katastrophe, die unter ungünstigen Bedingungen zu einer völligen Auslöschung des Volkes führen konnte. Deshalb sandte Gott in dieser Zeit so viele ausgezeichnete Propheten.

Aus der menschlichen Sicht waren sie "rufende Stimmen in der Wüste”. Ihre Mission konnte das Schicksal der Nationen nicht wenden. Die schlechten Könige trafen weiterhin schlechte Entscheidungen und die korrupten Priester nahmen weiterhin Opfer von reuelosen Sündern an. Aber begannen nicht gerade in solchen Wüsten die besten Wege?

Der Weg Moses begann in der Wüste. Der Weg zur besten Vision Elias begann in der Wüste, als er sich unter einen Busch gelegt hatte und sterben wollte, und Gott ihm befahl, auf den Berg Horeb zu steigen. Der Weg Jesus begann in der Wüste, denn dort wirkte Johannes, der ihn getauft hatte (Mat. 3:1). Der Weg des Apostels Paulus begann in der Wüste, als er nach der Taufe in Damaskus zuerst nach Arabien ging (Gal. 1:17).

Wenn unsere gebrochenen Herzen den tiefsten Punkt der Erniedrigung erreichen, wenn uns die tödliche Krankheit der Sünde plagt, dann sind wir am ehesten bereit, aus dem tiefsten Loch und dem klebrigen Schlamm der herrlichen Stimme der göttlichen Barmherzigkeit zu lauschen. Zwischen einer großen Not und einer noch größeren Katastrophe trifft die Stimme Gottes mitten in unser Herz, wie ein Schlüssel, der die komplexen Vorgänge der Buße in Bewegung setzt.

Stimmt es denn dann, dass die Missionen von Jeremia, Elias, Johannes dem Täufer und Jesus in einem Fiasko endeten? Natürlich nicht! Jeremia konnte die Könige zwar nicht davon überzeugen, ihren politischen Kurs zu ändern, er konnte die Priester nicht dazu bringen, den Menschen die Gerechtigkeit zu lehren, aber sein Wort leuchtete doch sowohl in der Gefangenschaft als auch nach ihrem Ende mit dem herrlichen Licht der göttlichen Fackel über den Wegen jener Menschen, die nach der Gnade der Vergebung strebten.

O nein, kein Wort schallte hohl zurück, ohne die erwartete Frucht getragen zu haben (Jes. 55:11). Die Worte des Propheten Joel, die vor der großen Katastrophe warnten, konnte die Menschen nicht vor ihr bewahren, aber sie haben sicherlich einige von ihnen dazu bewogen, auch zu seiner Zeit, würdige Früchte der Buße zu tragen.

Wir wollen den Blickpunkt aus Joels Prophezeiung nun auf unsere Zeit übertragen. Wohnen denn in Jerusalem und seiner Umgebung nicht heute auch Menschen, die sich wegen historischer Schläge dort versammelt haben? Sind sie nicht im geistlichen Sinne krank und bedürfen der Besserung? Oh ja, sie sind "verwüstet”, auch wenn noch nicht alle sich dessen bewusst sind.

Wir wollen uns die Worte Joels vor Augen führen: "Was der Nager übriggelassen hatte, fraß die Heuschrecke; und was die Heuschrecke übriggelassen, fraß der Abfresser; und was der Abfresser übriggelassen, fraß der Vertilger.” So wie das damalige Judäa von der vierfachen Heuschreckenplage heimgesucht worden war, wurden die modernen Israeliten von den vier zerstörerischen Imperien von Babylon über Rom "gefressen”.

In einem anderen Sinne wurden die Geschlechter der zeitgenössischen Israeliten von vier anderen Arten blutrünstiger Heuschrecken gefressen: von Antisemiten, Antijudaisten, Antizionisten und Israel-Gegner.

Zunächst wurden die Juden aus nationalistischen Gründen verfolgt. Das Phänomen des Antisemitismus ist das bekannteste und am besten beschriebene. Über Jahrhunderte hinweg wurden sie aber auch aus religiösen, theologischen Gründen gehasst. Sowohl das Christentum als auch der Islam sehen das Judentum als Konkurrenz und Bedrohung für ihre Dogmen an. Die zwei größten Weltreligionen leiden am Komplex des jüngeren Bruders gegenüber dem numerisch doch so geringen Judentum.

In der Zeit als die Idee des Zionismus, also der politischen Bewegung zugunsten der Gemeinschaft der Juden, ins Leben geweckt wurde, entstanden auch andere analoge "messianische” Initiativen, sowohl in christlichen als auch in islamischen Kreisen. Es war die Zeit, in der folgende Bewegungen entstanden: die der amerikanischen Mormonen, der armenischen Charismatiker und etwas später auch der leider mit uns verwandten "Zeugen”. Diese Bewegungen haben neue Vorstellungen vom Zion verbreitet, im Rahmen derer sie die Juden enterbten und ihnen die Verheißungen und Aufgaben absprachen, die Gott für sie vorgesehen hatte.

Jetzt, nach Entstehung des israelischen Staates, wird die jüdische Existenz im Gelobten Land ständig durch Israel-Gegner bedroht. Heute ist das die am meisten verbreitete Heuschreckenart, die des auserwählte Volk "frisst”. Solche Menschen findet man vor Allem in islamischen Ländern, zum Beispiel im Iran, aber Israel-Gegner trifft man häufig auch in unseren sogenannten "zivilisierten” Ländern in Europa und Amerika.

Und auch wenn wir uns diesen Verfolgungsströmungen der modernen Welt mit aller Kraft widersetzen und uns bemühen, sie auch aus unserem eigenen Handeln zu verbannen, so müssen wir doch über diese vier modernen Heuschreckenarten das gleiche sagen, was wir über die vier historischen Weltreiche behaupten. Einerseits waren es blutrünstige Bestien, andererseits hatten sie aber von Gott die nötige Berechtigung erhalten, Kontrolle über die Welt einschließlich Israel auszuüben.

Die vier modernen Heuschreckenarten bilden das Heeresvolk des Herrn (Joel 2:55). Mit Hilfe ihres Wirkens hilft Gott den Israeliten, den Zustand der geistlichen "Verwüstung” zu erlangen. Mit Hilfe der vier Arten von Peinigern führt er sie auf dem Weg der Buße.

Heute steht Israel wieder am Rande einer nationalen Katastrophe. Ihm droht ein innerer Konflikt mit dem „palästinensischen Element”. Es ist umgeben von feindseligen arabischen Nachbarn. Es ist politisch isoliert im Kreise der zivilisierten Länder des Nordens, aber die größte Gefährdung stellen die Juden selbst dar.

Korruption – Premier Olmert musste aufgrund von Korruptionsvorwürfen abtreten; moralischer Verfall – Präsident Katzaw wurde wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung zu einer Haftstrafe verurteilt; innere politische und religiöse Spaltungen; das Gefühl, dass Zuwanderer, die in ihrem Land wohnen, ungerecht behandelt werden; die Ausgrenzung einer starken ultra-orthodoxen Minderheit (heredim), die im Großen und Ganzen den Staat Israel nicht anerkennt, aber trotzdem auf seine Kosten lebt und dabei sein Budget, und damit auch die anderen Bürger, stark belastet. All diese und noch viele andere innere Probleme Israels bewirken, dass man heute, ähnlich wie zu Zeiten Joels, gerne rufen würde: "Zerreißt euer Herz (...) und kehrt um zum HERRN, eurem Gott!”

Der Prophet sagt jedoch eine glückliche Auflösung dieser dramatischen Situation voraus. Auch wenn die Zeitabschnitte vor der babylonischen Gefangenschaft und zu Lebzeiten Jesus, vor der großen römischen Gefangenschaft, nicht zu einem solchen "happy end” geführt hatten, haben wir allen Grund zur Annahme, dass in unserer Zeit die Geschichte anders verlaufen wird.

Die in ihrem Land versammelten Israeliten, oder zumindest ein Teil von ihnen, werden sowohl ihre Kleider als auch ihre Herzen zerreißen, sie werden sich bekehren, vor Gott treten und seinen Segen erhalten. Anschließend wir Gott den Geist der Gnade und der Gebete über sie ausgießen, damit sie sich tatsächlich von dem falschen Verhalten reinigen können (Sach. 13:1). Und dann werden sich folgende Worte erfüllen (Joel 3:5): "Denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Errettung sein, wie der HERR gesprochen hat, und unter den Übriggebliebenen, die der HERR berufen wird.” Denn das Wort des Herrn wird von Jerusalem ausgehen (Jes. 2:3; Mich. 4:3).

Das, was Jesaja und Micha mild als das "Ausgehen des Wortes” bezeichnen, spitzt der Prophet Joel etwas zu (Joel 3:16): "Und der HERR brüllt aus Zion und läßt aus Jerusalem seine Stimme erschallen, und Himmel und Erde erbeben.”

Auch in anderen Teilen seiner Beschreibung bezieht er sich auf die bereits erwähnte Vision von Jesaja und Micha. Währen die "friedfertigen” Propheten von der Vision des messianischen Königreichs sprechen, in welchem Schwerter zu Pflugscharen und Speere zu Winzermessern umgeschmiedet werden, fordert der Prophet Joel hier die Nationen auf, exakt das umgekehrte zu tun – nämlich die Pflugscharen zu Schwertern und die Winzermesser zu Speeren umzuschmieden, damit sie sich dem Verteidiger Israels, also Gott selbst, im Kampf stellen können.

Das Tal Joschafat, das wörtlicher aus dem Hebräischen übersetzt "Tal des Gerichts des Herrn” heißt, wird der Ort der endgültigen Niederlage der Nationen werden. Und auch hier wird sich die menschliche Neigung zu Extremen, wie im Falle Israels, als günstige Gelegenheit für Gott erweisen. Auch diese Katastrophe wird von Gott dazu genutzt werden, die Nationen in den Zustand der "Verwüstung” zu bringen und ihre Bereitschaft zu wecken, eigene Fehler zu erkennen und sich zu dem Weg der Buße zu bekehren.

Unter diesen Umständen werden sich auch die letzten Worte der Vision von Joel erfüllen (Joel 3:18): Und eine aus dem Haus des Herrn in Jerusalem hervorbrechende Quelle wird das Tal Schittim bewässern und wird "ihr Blut ungestraft lassen, das [Gott bisher] nicht ungestraft ließ.” (Joel 3:20). Möge Gott bewirken, dass diese Worte schon in der nahen Zukunft Realität werden, am besten zu unseren Lebzeiten.

Und wir, die heute das Wort Joels lesen, sollten jede Gelegenheit nutzen, um die eigenen Sünden zu bereuen, den Herrn um Hilfe zu bitten und die Unterstützung des Heiligen Geistes zu erhalten. Wir sollten uns bekehren und uns in einen Teil des göttlichen Weges, der in der Wüste beginnt, verwandeln. Wir sollten heute schon beginnen, diesen Weg zu bahnen, den als erste schon bald die Juden und dann alle Nationen betreten werden.

"Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg des HERRN!” Amen

Daniel Kaleta

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