Ludwigshafen, 5.04.2012Lama AsawtaniPsalm 22:1-32 – Hilfe für Jesu Leiden am Kreuz„Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde; um die neunte Stunde aber schrie Jesus mit lauter Stimme auf und sagte: Eli, Eli, lemá sabachtháni? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Als aber einige von den Umstehenden es hörten, sagten sie: Der ruft den Elia. Und sogleich lief einer von ihnen und nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die übrigen aber sagten: Halt, laßt uns sehen, ob Elia kommt, ihn zu retten! Jesus aber schrie wieder mit lauter Stimme und gab den Geist auf.” – Mat. 27:45-50 Es war die sechste Stunde – genau Mittag. Am vierzehnten Tag des Frühlingsmonats Nisan, also in unserer Zeitrechnung Anfang April, kann es in Jerusalem schon ziemlich warm werden. Aber es muss nicht. Vielleicht war die Luft an jenem Tag des neunzehnten Regierungsjahres von Tiberius noch erfüllt von der Frische der jüdäischen Berge. Die Sonne ließ die Mauern von Jerusalem in goldenem Glanze strahlen und bedeckte mit warme Farben die umliegenden Berge. Auch diesen einzigartigen, felsigen Hügel Golgatha im Norden, wo vor tausenden Jahren der Schatten Abrahams bewaffneter Hand über dem gebundenen Leib des Sohnes und Erben seiner Verheißung geschwebt haben soll. Trotz des festlichen Tages der Vorbereitung zum Passah war die Stadt leergefegt. Wohin war die Menge verschwunden, die sich normalerweise um den Tempel scharte, um die festliche Großzügigkeit der wohlhabenderen Pilger zu nutzen? Einige wenige Krämer passten auf ihre Stände mit Passah-Spezialitäten auf. Auf dem normalerweise so belebten Vorhof erklang jetzt nur das Blöken der Schafe, die schon bald wieder zurückgekehrt waren nachdem sie der Lehrer aus Galiläa von hier verjagt hatte. Genau! Eben wegen dem Rabbi aus Nazaret war die Stadt für kurze Zeit leer und still geworden. Vor fünf Tagen war es Ihm gelungen den Tempelvorhof still zu machen und ihn drei Tage lang mit seinen Lehren zu erfüllen. Nun war es Ihm gelungen dieses ganze lärmende Gedränge aus der Stadt zu führen. Sehr gern gingen sie zum Golgathahügel um sich zu überzeugen, ob Er der Messias und Sohn Gottes ist, ob er ein Wunder vollbringen würde, ob er vom Kreuze herabsteigt, ob er die Römer verjagt, ob er die Menschenmenge zum Palast Herodes führt und die messianische Herrschaft des Hauses David beginnt. So gut wie niemand glaubte daran, aber nicht wenige hielten es dennoch für möglich. Sie hatten doch gesehen wie Er Kranke heilte, sie hatten das von ihm vermehrte Brot gegessen, sie waren bei der Bestattung von Lazarus gewesen und hatten später den Toten unter den Lebenden gesehen. Die Schaulustigen auf Golgatha waren zunächst fieberhaft Erregt als sie dem Leiden der Verurteilten zuschauten. Danach stieg die Spannung noch mehr, in der Hoffnung, dass der Messias aus Galiläa vielleicht doch noch ein außergewöhnliches Wunder vollbringt. Nach einer langen Zeit des Wartens begann es langweilig zu werden und die Gesichter der Schaulustigen zeigten immer mehr Enttäuschung. Manche setzten sich missmutig auf Steinen nieder. Der Tag war angenehm, nichts interessantes geschah. Vielleicht abgesehen davon, dass die Verurteilten langsam begannen auf ihren Kreuzen zu ersticken. Zwischen ihnen stach die Gestalt von Rabbi Jeschua hervor – der Leib von der römischen Peitsche zerrissen, auf dem Kopf eine Dornenkrone und über dem Kopf ein Schriftzug in drei Sprachen: Jeschua haNozri Melech haJehudim, Jesus ho Nadzoraios ho basileus Judaion, Iesus Nazarenus rex Iudaeorum. Die Enttäuschte Menge fing langsam an auseinanderzugehen, als sich auf einmal etwas zu ändern begann. Der Wüstenwind ließ nach, das Frühlingsgezwitscher der Vögel verstummte, die goldenen Mauern begannen einen merkwürdigen, kupfernen Glanz anzunehmen. Die Leute blickten verunsichert gen Himmel. Plötzlich begann die Sonne zu verblassen, als ob jemand einen immer dichteren Vorhang darüber zog. Nach einer Weile war es dunkel. Die Menge erstarrte. Um den Hügel wurde es still. Alle fühlten, dass das der Moment ist auf den sie gewartet haben. Die Römer schienen mehr und mehr verunsichert. Der Zenturio rief sie zu sich und befahl den Soldaten um den Hinrichtungsplatz enger zusammenzurücken. Die Menschen strengten die Augen an um in der Dunkelheit die Umrisse der Kreuze erkennen zu können. Wird etwas passieren? Doch nichts weiter geschah. Die Verurteilten kämpften weiterhin um jeden Atemzug. Sich an den durchbohrten Händen und Füßen hochzuziehen kostete sie große Mühe und verursachte schrecklichen Schmerz, aber es war die einzige Möglichkeit ein wenig Lebenserhaltende Luft zu erhaschen. Dann hingen sie wieder kraftlos auf den langsam erschlaffenden Muskeln. Weitere Minuten und Stunden vergingen. Kann noch irgendetwas passieren? Vielleicht ist es besser sich langsam Richtung Stadt zu begeben, wo schon die gedeckten Tische für das festliche Abendmahl warteten. Man musste sich ja noch vor der Dämmerung waschen, umziehen und mit duftendem Öl salben, um bei den ersten drei Sternen das Mahl beginnen zu können. Und dann, eben aus dieser merkwürdigen Dämmerung des ruhigen Nachmittags ertönte ein schrecklicher Schrei: Eeeliii... Scheinbar wie ein Echo der Stadtmauern hörte man wieder: Eeeliii... Es folgte vollkommene Stille. Und dann hörten sie noch wie er rief: Lama Asawtani... Manche der belesenen erkannten die Wörter des Davidspsalmes – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen". Andere, die musikalischeren, erinnerten sich an die Melodie dieses Psalmes: Aijelet haSchachar – Hirschkuh in der Morgenröte. Die Menge merkte auf. Es überwiegten zwischen ihnen jedoch die unbelesenen und unmusikalischen. Sie waren es, die von Mund zu Mund zu wiederholen begannen, dass der Rabbi aus Nazaret Elia ruft. Jeder weiß doch, dass vor dem kommen des Messias Elia erscheinen soll. Vielleicht geschieht also doch ein Wunder? Vielleicht hat es sich gelohnt zu warten. Und wieder fieberten die Leute in abergläubischer Erwartung auf ein Wunder. Doch nichts besonderes geschah. Stille, nichts außergewöhnliches. Nur einer der näherstehenden Soldaten, berührt vom schmerzerfüllten Ruf, befeuchtete die Lippen der Verurteilten mit einem Essiggetränkten Schwamm, befestigt auf einem langen Rohr. Der Leib des Verurteilten unter dem Schild „Rex Judeorum", vor kurzem noch angespannt vor Anstrengung, hing jetzt erschöpft von dem lauten Ruf auf den durchbohrten Händen und Füßen. Eli, Eli, mein Gott, mein Gott – wiederholte er im Geiste. Du hast mich nie verlassen... Du hast David nicht verlassen in der schwierigsten Stunde seiner Einsamkeit... und bei mir bist du... Seine schmerzlichen Gefühle linderte das Bewusstsein, dass Er nicht der erste ist, der Verstoßung und Verständnislosigkeit erleidet. Er ist auch nicht der letzte. Er labte sich nicht am Schmerze Davids oder der vergangenen und künftigen Propheten und Märtyrern. Er fand einfach nur Trost darin, dass Er in seinem Leiden nicht einsam ist. Vom Schmerz zerrissen zog er sich an den zum Himmel erhobenen Armen hoch, um noch ein paar Atemzüge zu machen, um erneut den Trost des 22. Psalms zu erfahren: Doch du bist heilig, Wie ermutigend war für Ihn das Bewusstsein der historischen Kontinuität von Gottes Gemeinschaft mit Israel. Natürlich passierte es, dass die Diener Gottes litten, aber die Väter wurden auch gerettet und ihre Hoffnungen wurden erfüllt. Wie heilig bist Du, Gott, der Du wohnst unter den Lobgesängen Israels... Und wieder hing er kraftlos an den durchbohrten Händen: Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, Schmerzhaft war das Bewusstsein der Einsamkeit darin Gutes zu tun, und insbesondere darin den Glauben an das höchste Gut zu bekennen, welches der Allmächtige ist. Hohn ist immer ein schlimmes Vergehen. Man darf selbst unrechtmäßige oder wirklich lächerliche Dinge nicht verhöhnen und auslachen. Doch Hohn, der sich gegen einen Menschen richtet der Glauben an Gott bekennt ist eine Todessünde. Wer den Glauben eines wirklich gläubigen Menschen verhöhnt, der verhöhnt Gott und Gott lässt sich nicht auslachen (Gal 6:7). Jesus wurde im Moment des höchsten Leidens mit Hohn konfrontiert. Menschen, die ihn in die Hände der Henker übergeben hatten, spotteten er solle vom Kreuze herabsteigen, um zu beweisen, dass er Gottes Sohn sei. Es waren hochgestellte Personen die es taten. Und der einfache Pöbel stimmte mit ein. Doch Jesus betete weiter mit den Worten Davids: Ja, du bist es, der mich aus dem Mutterleib gezogen hat, Im Leiden am Kreuz erinnert sich Jesus an die glücklichen Tage seiner Kindheit. Er erinnerte sich sicher nicht an die Tage, an denen er die Brüste seiner Mutter, Maria, gesogen hat. Aus ihren Erzählungen wusste er jedoch von dem Wunder seiner Geburt, von der Obhut die er erfahren hatte, als sie vom Engel gewarnt vor Herodes Kindermördern flohen, er hatte von den Prophezeiungen Annas und Simeons am Tag seiner Weihung im Tempel gehört. Er erinnerte sich an die ruhigen Jahre der Kindheit in Nazaret, als er unter der Obhut seines Pflegevaters Josef seinen Beruf erlernte. Er erinnerte sich auch an den Besuch im Tempel, wo er als zwölfjähriger gelehrte Gespräche mit gebildeten Rabbinern führte. All diese Erinnerungen der wunderbaren Fürsorge Gottes von seiner Kindheit an stärkten Ihn jetzt im Moment äußersten Leidens, in dem er von niemanden Hilfe bekommen konnte. Seine einzige Rettung war Der, dessen Fürsorge Ihn nie enttäuscht hatte. Viele Stiere haben mich umgeben, Die Hände und Füße Davids waren eher nie buchstäblich durchbohrt worden. Er konnte jedoch Situationen erlebt haben, in denen seine Feinde seines Todes sicher bereits seine Kleider unter sich teilten. Doch wie überzeugend gibt diese dramatische Leidesschilderung das wieder, was Jesus am Kreuze erlebt haben muss. Die Feindseligkeit der ihn umgebenden Menschen verband sich mit unvorstellbarem körperlichem Leiden, in dem der Schmerz in jedem einzelnen Körperteil sich zu einem Gefühl der Auflösung des ganzen Körpers verbindet. Jesus sah buchstäblich wie die römischen Soldaten Lose warfen, damit einer von ihnen sich seine wertvolle, von oben an durchgewebte Tunika nehmen konnte. Seine Hände und Füße wurden buchstäblich mit Eisernen Nägeln, mit denen man die Verurteilten am hölzernen Kreuz befestigte, durchbohrt. Du aber, HERR, sei nicht fern! An diesen Teil des Psalmes denkend, fühlte Jesus wahrscheinlich keinen Schmerz mehr. In der Agonie kommen angeblich Mechanismen in Gang, die den Schmerz hemmen. Der Mensch beginnt Erleichterung zu fühlen. Und in derselben Stimmung endet auch jener Psalm. Er beginnt mit dem Ruf eines Leidenden, der bereit ist im Leid sogar an Gottes Hilfe zu zweifeln. Er wankt danach abwechselnd zwischen Hoffnung und Niedergeschlagenheit. Am Ende jedoch steht ein langes, wunderschönes und hoffnungsvolles Glaubensbekenntnis, das aus dem Gefühl hervorfließt, dass das Leiden einen Sinn hat. Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern; Wie wunderbar ist dieses Glaubensbekenntnis, dass der Tod des Messias den Menschen all die verheißenen Segnungen herbeiführt. Dank ihm werden nicht nur diejenigen Gott segnen, die den Herrn kennen, sondern auch die fernsten Enden der Erde. Und so geschah es auch. Der Tod Jesu verursachte, dass die weitesten Enden der Erde Gott kennenlernten. Unter anderen bekehrten auch wir uns, die wir von Geburt her doch Heiden waren. Aber es gibt in diesem Bekenntnis noch eine größere Hoffnung: Nicht nur die Lebendigen sollen Gott preisen, sonder sogar die, welche in den Staub der Erde hinabfahren, welche sterben. Dank Jesu Tod werden sie die Auferstehung bekommen. Jesus starb im Bewusstsein, er habe die vom Vater aufgetragene Mission gut erfüllt. Er starb im Bewusstsein, dass Gott in ihm seine ganze Aufgabe ausgeführt hat. Sein Leiden hatte einen Sinn, und das Bewusstsein des Sinns lindert den schlimmsten Schmerz. Genau deshalb klingen die letzten Worte, die Er am Kreuz ausspricht ähnlich wie das Ende von Psalm 22: „Es ist vollbracht" – Gott hat alles in mir ausgeführt. Dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen. Aus diesem Grund wollen wir heute, wenn wir Jesu Leiden und Tod gedenken, vor allem daran denken was glücklich durch seine Hand vollbracht wurde – welche große Bedeutung das Verdienst seines Leidens und Todes für uns Menschen hatte. Nicht nur für die heute gläubigen, so wie uns hier, sondern auch für die, welche Gott zwar noch nicht kennen, aber trotzdem herabsteigen ins Grab mit der Hoffnung, Ihn nach der Auferstehung kennenzulernen. Und das alles verdanken wir Jesu Treue, einer Treue, die ihn durch Leiden bis ans schmerzvolle Kreuz führte. Ihm sei dafür größter Dank! Wie soll ich dem HERRN vergelten alle seine Wohltaten an mir? Daniel Kaleta |